Dienstag, 2. Dezember 2014

BAADER, ENSSLIN UND DIE ZWERGWERFER


Eine phantastisch-philosophische Moritat

von Jutta Pivecka




Er:       „Nur Menschen erzeugen bleibenden Abscheu.“
Sie:       „Gefällt dir einer?“
Er:       „Sie sind widerlich. Ich mag nur die Zerstörer.“
Sie:       „Ich gebe dir einen: Baader, Andreas. Erinnerst du dich?“
Er:       „Wir können nicht vergessen.“
Sie:      „Zeit und Raum?“
Sie:      „Sicher.“

Die Metaphysiker schlugen in der pannonischen Tiefebene auf. In der Ferne schimmerten silbrig die westlichen Karpaten. „Das kommt uns gelegen...“, sagte er. „...die Zwergwerfer.“ Sie bewegten sich zügig auf die Bergkämme zu. „Lass uns Gestalt annehmen: Ich bin jung, groß und schön.“ Sie lachte: „Warum überrascht mich das nicht?“ Es wurde Nacht. Sie genossen die feuchte Kälte auf ihren frischen Häuten. Gegen Mittag des folgenden Tages erreichten sie das Dorf der Zwergwerfer. Vier Riesen begrüßten sie auf dem offenen Dorfanger. Knotigbraunen Baumstämmen gleich wuchsen ihre Beine aus dem Boden. „Und ihre Ohren“, sagte er, „sind spitz, wie die Mythen die Giganten beschreiben.“ „Sie sind, was wir uns unter dem Mythos vorstellen, weißt du.“„Ich weiß vorher nie, was ich mir vorstelle, bevor ich auf meine Vorstellung treffe.“ „Ach du....“ Die Zwergwerfer verbeugten sich synchron vor ihren zierlichen Besuchern.

Woher wussten wir, dass diese Giganten sich als Zwergwerfer verdingten? Die Verdinglichung der Zwerge zu Wurfobjekten, hatte der Königsberger diktiert, verletzte den kategorischen Imperativ.  Wie aber hatte er sich gestemmt gegen die Erfahrung Georg Forsters, dass auch der Schwarze ein vernunftbegabtes Wesen sei. Und: Was galt, wenn der Wurf mit  dem Einverständnis des Geworfenen erfolgte? Doch schweifen wir ab...

Einer der Riesen trat hervor: „Fremdlinge: Willkommen bei den Silberhändigen Azeroth, wie wir uns neuerdings nennen, nachdem wir mit Den Geheimen Drei fusioniert sind.“ Sie blickte ihren Gefährten ungläubig an: „Wie irre ist das denn?“ „Weiß nicht“, sagte er kleinlaut. „Kann sein, dass ich zu viel World of Warcraft gespielt habe.“ Der Zwergwerfer ignorierte das Gefasel: „Mein Name ist Ruut. Wie wir alle lehne ich jede Form von Rassismus ab, das möchte ich betonen. Wir nehmen dicke Zwerge, dünne Zwerge, blaue, gelbe, rote. Auch welche in Lederjacken, wie dich.“, stellte er fest, indem er auf ihn deutete. Sie stupste ihn in die Seite: „Da hast du´s.“ „...oder Blondinen wie dich.“, fuhr er fort. „Das ist gut. Wir wollen nämlich....“ „Gemach.“, unterbrach Ruut. „Bevor wir ins Geschäft kommen, müsst ihr uns erst einmal kennenlernen. Wie gesagt: Mein Name ist Ruut und ...“ „Ruut, du bist zu langatmig. Sie müssen nicht alles über uns wissen, damit wir sie werfen können...“, unterbrach ihn der Riese links neben ihm. Ruut schob beleidigt die Unterlippe vor. „Mein Name ist Manolete. Ich bin hier der Boss. Ich leite den Laden, weil ich die größten Taschen habe. Als Starfotograf verdiene ich auch sehr gut.“ „Das geht zu weit.“, schimpfte sie. „Ich weiß auch nicht, wie das passiert ist.“, gab er sich unschuldig. „Wenn später noch ein paar Models dazukommen, könnte sich das als nützlich erweisen.“ „Ich schenke dir Baader und jetzt auch noch Models...“ „Dafür hast du die Zwergwerfer. Und was für welche. Die sind doch echt cool.“

Manolete ignorierte den Blödsinn. Stattdessen hob er ihr Kinn leicht an. Sie  kicherte unkontrolliert bei dieser Berührung. Vom Rande des Universums kündigte sich ein Beben an. „Fass sie nicht an, Manolete. Ich warne dich. Sie hat das nicht gern.“ Er zog sie an sich heran. Sie spürte das raue Leder seiner lächerlichen Jacke an ihrer Wange. Fast hätte sie dem Impuls nachgegeben, sich daran zu reiben. „Danke.“, flüsterte sie. Er antwortete nicht, verstärkte aber den Druck seiner Hand auf ihrer Schulter. Unmerklich lehnte sie sich noch ein wenig dichter an ihn. Manolete trat zurück. „Kein Problem, Bruder. Ich erwäge die Möglichkeiten. Ich bestehe nicht auf ihnen.“ Ein anderer Zwergwerfer, der schon die ganze Zeit über ungeduldig die Augen gerollt hatte, unterbrach ihn: „Mein Name ist Celtigar. Ihr seht, dass ich ein Trollschurke bin. Hier drüben steht Eufemia, unsere Hexenmeisterin.“ Eufemia lächelte die beiden freundlich an. „Ich sehe ein wenig gefährlich aus, aber das täuscht. Ich kuschele gerne mit Blutelfen.“ Sie löste sich empört von ihm. „Dass du immer noch einen drauf setzen musst.“ Das Beben verebbte. Celtigar lud die Besucher ein: „Darf ich euch bitten, Platz zu nehmen?“, sagte er und wies mit der Hand auf eine gigantische Sitzgruppe am Rande des Platzes, die sie bisher übersehen hatten. Sie bestand aus sechs klobigen Holzsitzen, die jeweils aus dem Stamm einer uralten Eiche gehauen und im Kreis aufgestellt waren.

Wieso dauert es so lange, bis Baader in der Geschichte auftaucht? Die Zwergwerfer sollten uns ins Jahr 1969 katapultieren, wo wir Baader zu treffen gedachten. Nun saßen wir fest in der pannonischen Tiefebene jenseits der Zeit. Wir verstanden allmählich, dass die Giganten nicht auf Abenteuer aus waren. Die Vorstellung, eine Geschichte anzufangen, war ihnen unbegreiflich. Sie lebten Geschichten, doch keine, die je von einem Anfang zum Ende fortschritt. Nichts drängte sie voranzukommen, denn sie kamen immer wieder an, wo sie schon waren. Und grämten sich nicht darum, wie wir...

„Wir sollen euch also ins Menschenjahr 1969 werfen...“, fasste Manolete die Verhandlungen zusammen. „Nun ja, nach christlicher Zeitrechnung.“, warf Ruut ein. „Gut, dass du mich erinnerst. Dort wollt ihr Andreas Baader treffen...“ „Ich will nach Paris.“, sagte sie. „Baader und Ensslin flohen im Winter 69 nach Paris, weißt du.“ „Jedes Mal willst du nach Paris.“, stöhnte er. „Ich bin dort immer glücklich gewesen.“ Sie sah ihn herausfordernd an. Um seinen Mund zuckte es. Nur mühsam gelang es beiden das neuerliche Beben, das sich ankündigte, ausgleiten zu lassen. Die Zwergwerfer indessen bemerkten davon nichts. „Also gut, nach Paris.“ Manolete zuckte die Achseln. „Uns ist das völlig gleich. Eines aber muss euch klar sein: Wenn wir euch werfen, begleiten wir euch selbstverständlich.“ „Warum denn?“, fragte sie. „Wir waren schon 1789 dort und früher...“ „Erinnere mich nicht.“, rief er und verzog angewidert das Gesicht. „Die Bartholomäusnacht...“ „Vergiss es.“ „Es geht nicht darum, was ihr dort anstellen könntet. Es läuft sowieso immer auf dasselbe hinaus.“ „Egal, wie ihr wollt. Ich hätte gerne einen VW-Bus, der mit Blumen bemalt ist und an dem hinten ein Schild angebracht wird, auf dem steht: Lach nicht, Papa, deine Tochter könnte hier drin liegen.“, verlangte er. „Oh mannomann.“, stöhnte sie. „Ein bisschen Spaß muss sein...“, sang er. Sie funkelten sich an. Diesmal war kein Beben zu spüren. „Das mit dem Bus ist kein Problem.“, beruhigte Manolete.„War´s das jetzt, geht´s jetzt endlich los?“ Er hüpfte ungeduldig von seinem gigantischen Sitz hinunter. „Hast du nicht auch noch was von Models gesagt?“, fragte Celtigar. „Doch ja, Andreas gefällt das bestimmt. Der steht auf langbeinige Frauen.“ „Wie du.“, sie schüttelte missbilligend den Kopf. „Los jetzt. Das Gequassel nervt. Geschichte wird gemacht.“ „Oho.“

„Ruut, du begleitest mich.“, befahl Manolete. Ruut stand auf. Manolete hob sie hoch. „Geht es, wenn er dich anfasst?“, fragte er leise. „Für den Moment halte ich es aus.“ Nun hielt Manolete sie mit beiden Händen über den Kopf und Ruut nahm die gleiche Stellung mit ihm ein. Sie wuchsen ins Unermessliche. „Ich werfe uns...Jetzt.“ Sie stürzten durch Raum und Zeit, ein Wirbel umschlang sie mit silbernen Fäden, ein Sog spülte sie hinab in gleißendes Gold, sie zerstoben in aschgraue Krümel und bildeten kristallene weiße Sterne. „Scottie, beam me up.“, rauschte es aus den Tiefen des Alls.

Dann saßen sie schon in einem Straßencafé in Paris Montparnasse. Vor jedem von ihnen stand ein Glas Pastis. Am Straßenrand parkte der VW-Bus mit eben jenem Schild, das er bestellt hatte. Jedoch war alles schwarzweiß. „Mir gefällt es.“, strahlte Manolete, „ich bin sowieso ein Freund der Schwarzweiß-Fotographie.“ Sie betrachteten ihn näher. Manolete hatte sich, ebenso wie Ruut, verwandelt. Immer noch waren sie außergewöhnlich groß und kräftig, jedoch keine Giganten mehr. Ihre struppige Haare waren ein wenig gestutzt. Sie trugen dunkle Anzüge und weiße Hemden, aber keine Krawatten. Ruut drehte sich eine Zigarette und lehnte sich  zurück, die Szenerie zu betrachten. Passanten blieben stehen, um den eigentümlichen Bus aus Deutschland zu bestaunen. „Wie schick die Pariserinnen sind...“, bewunderte sie. „Halt jetzt mal die Klappe. Schau lieber unauffällig da rüber. Das sitzen sie.“ „Wie sie ihn anhimmelt.“ „O ja, sexy Gudrun. Könntest du dir ein Beispiel dran nehmen.“ „Fuck you.“ Baader und Ensslin saßen zwei Tische weiter. Baader hatte sich leicht vom Tisch weggedreht, die Beine breit auf den Gehsteig hinausgeschoben, doch den Oberkörper Ensslin zugeneigt. Sie, die Haare dunkel gefärbt und zu einem schulterlangen Pagenkopf geschnitten, war weit über den Tisch gebeugt, zu ihm hin. Sie unterhielten sich lebhaft, lachten laut auf. Schließlich stellte er seinen rechten Fuß so aus, dass die Zehenspitzen ihren Fuß links unter dem Tisch erreichten.

Wir hatten selten ein Paar beobachtet, das so offensichtlich verliebt war wie diese beiden. Sie wirkten inmitten des Pariser Treibens so ganz und gar aufeinander bezogen. Wer immer sie betrachtete, spürte das Kraftfeld, das ihr Beisammensein erzeugte, die Energien, die sich verbanden und verstärkten, wenn sie einander berührten. Ein Beben vom Rande des Universums...

Im Bus ging es dann hoch her. Baader war zunächst verdrossen gewesen, dass er in einem solchen Gefährt reisen sollte. Zwar hatte er nie einen Führerschein besessen, war es jedoch gewohnt, schicke und schnelle Autos zu fahren. Durch Frankfurt war er in einem auberginefarbenen Porsche gebraust, die Reise nach Paris hatten er und Gudrun in einem weißen Mercedes angetreten. Den Bus empfand er als Abstieg. Er versöhnte sich jedoch damit, nachdem er festgestellt hatte, wie bequem er mit Gudrun auf dem Rücksitz fummeln konnte. Obwohl Ensslin und Baader in Paris jedem Fremden zunächst mit Misstrauen begegneten waren, schließlich befanden sie sich auf der Flucht, war es ihm gelungen, sehr schnell mit ihnen Freundschaft zu schließen. Baader erkannte in ihm den 1. Offizier, den er als Truppenführer brauchte und er übernahm diese Rolle vorerst gern. Manolete und Ruut hielten sich aus den Gesprächen heraus. Sie hatten Baader jedoch beeindruckt, indem sie ihre Jacken für einen Moment zurückschlugen und ihm einen Blick auf die Berettas gewährten, die sie lässig in den Hosenbund gestopften hatten. Sie fühlte sich jedoch  schon bald von Gudruns Gerede genervt. Wann immer Gudrun nicht mit Baader rummachte, sprach sie mit sich überschlagender Stimme auf sie ein. Es ging, natürlich, um Andreas: „Andreas ist das revolutionäre Subjekt. Das gilt auch – vor allem auch – für seine Arbeit als Fotomodell für Schwulenmagazine. Gerade das zeichnet Andreas als Antagonisten des Bürgertums aus. Der Rivale, absolute Feind, Staatsfeind: das kollektive Bewusstsein, die Moral der Erniedrigten und Beleidigten, des Metropolenproletariats - das ist Andreas.“ Sie verdrehte die Augen. Baader zog Ensslin zu sich heran, glitt mit der Hand in ihre Bluse, begann sie wild zu küssen und auf dem Sitz flachzulegen. Sie suchte seinen Blick. Er lachte nicht. Beide spürten, dass das Beben wieder eingesetzt hatte. Das Zusammensein mit Ensslin und Baader in dem engen Bus machte es fast unmöglich, es hinzuhalten. Seine Hände krampften um das Steuer. Sie wandte sich an Baader, um ihn und sich abzulenken. „Was ist der Plan?“ „Also vor allem brauchen wir Geld und Waffen. Geht ja nicht, dass nur die beiden stummen Kerle bewaffnet sind. Obwohl die Berettas klasse sind. Echt. Zeig noch mal.“ Manolete schob seine Jacke beiseite. „Geil.“ Baader wollte nach der Beretta greifen, aber ein Blick Manoletes genügte, dass er die Hand zurückzog. Vom Fahrersitz aus schlug er Baader vor: „Wir könnten in der Nähe von Bonn ein Bundeswehrfahrzeug anhalten. Die Waffen abgreifen. Vielleicht auch in die Kaserne eindringen.“  Der unausgegorene Plan entsprach genau Baaders Naturell. Ensslin schaute ein wenig bedrückt drein, sagte aber nichts.

Wie im Traum fand er eine Auffahrt zu einer Kaserne in der Nähe von Bad Godesberg. „Los, stell dich ein bisschen hilflos an den Straßenrand.“ Sie klappten die Motorhaube auf. Die Männer versteckten sich im Bus, während Ensslin sich gegen den Kühler lehnte und eine Zigarette anzündete. Sie stellte sich neben das Fahrzeug, um nach Hilfe zu winken. Schon der erste Kastenwagen des Bundes hielt. Zwei junge Männer in Uniform stiegen aus. „Probleme, Süße?“, fragte der Größere von beiden und fasste sie dreist um die Hüfte. Zorn stieg gleich einer roten Welle in ihr auf, ein Grollen hob an, so furchterregend, dass es sogar der junge Mann zu bemerken schien, denn er zuckte zusammen, zog jedoch die Hand nicht zurück. Das war sein Fehler. Der Metaphysiker sprang aus dem Bus, setzte die Beretta, die kurzerhand Ruut entwunden hatte, am Kopf des Jungen an und drückte ab. Der fiel so günstig, dass kein Blutspritzer sie traf, wohl aber seinen Kameraden, der die Szene ungläubig beobachtet hatte und viel zu spät die Waffe zog, um einem zweiten Schuss zuvor zukommen. Baader war ganz aus dem Häuschen: „Genial. Erledigt. Zack bumm.“ Ensslins Hände zitterten ein bisschen, als sie sich die nächste Zigarette ansteckte. Manolete und Ruut zogen die Leichen ins Gebüsch. Sie stellte sich dicht zu ihm und legte die Hände auf seine Brust. Wieder wogte das All. „Es wird kein Entrinnen geben für die, nicht wahr?“ Er schüttelte den Kopf. „Willst du immer noch die Models...“ „Es wird dir eine Lektion sein.“

Wir waren versucht zu glauben, es gebe ein reines sonnenhaftes Schauen aus der Begehrlichkeit. Doch wurden wir in den ewigen Wirrwarr aus Wahn und Begierde gestoßen. Die Frage, ob wir kein Gewissen hatten, wenn wir uns die Körper verschafften, wohl wissend, dass am Ende unserer schleimigen Vereinigung Blut die Böden rot färben würde, ist ohne Sinn. Wir waren und sind das Gewissen: Wie könnten wir selbst eines haben? Und auch uns bleibt auf ewig verborgen warum wir so geschaffen wurden: reine Geister, doch Mann und Weib, sich nach einander verzehrend? Der verborgene Gott, den sie in uns suchen, er zeigt auch uns nicht sein Gesicht. Wir ahnen nicht einmal, warum es unseren Geist nach Verkörperung drängt – und nacheinander...

Von Ferne war Sirenenalarm zu hören. Fahrzeuge näherten sich in schnellem Tempo. Gudrun fluchte. Er nickte Manolete zu. Der fasste Gudrun unter die Schultern. Die schrie auf. „Spinnst du?“, schrie Andreas und wollte einen Hieb versetzen. Doch da hatte der Gigant ihn schon gepackt. Ein Sprung durch Raum und Zeit: Sie stürzten, ein Wirbel umschlang sie mit silbernen Fäden, ein Sog spülte sie hinab in gleißendes Gold, sie zerstoben in aschgraue Krümel und bildeten kristallene weiße Sterne. „Scottie, beam me up.“, rauschte es aus den Tiefen des Alls.

Sie schlugen hart auf dieses Mal. Denn die Reise war kurz: Von Bonn-Bad Godesberg nach Hürth bei Köln in die Aufnahmestudios von „Germany´s next top model 2011“. Sie saßen im Publikum auf der harten Zuschauertribüne. Auf dem Laufsteg wurde einer langbeinigen jungen Frau mit herrlichen dunkelbraunen Haaren von zwei fetten Kerlen in Hawaihosen Mayonnaise über die halbentblößten Brüste geschmiert. Von einem Podest daneben herab gab eine Blondine mit ebenmäßigen Zügen Anweisungen: „Lächle, zeig, wer du bist. Du bist immer schön.“ Um die junge strahlend lächelnde Frau tanzten die Fotografen und entfesselten ein Blitzlichtgewitter. Die Menge johlte und applaudierte bei jeder lasziven Bewegung der Schönen. „Zeig was du kannst.“, schrie der blonde Teufel auf dem Podest. „Du kannst die Schönste sein. Wenn du nichts zurückhälts, wenn du ganz aufgehst in dem Willen...“ – eine Fanfare erklang – „...Germany´s next top model zu sein.“ Ein Kübel Jauche wurde von oben über die brünette Schönheit gegossen. Es stank. „Jetzt zeigt sich, ob du´s wirklich drauf hast.  Nur die Stärksten überleben. Nur wer sich völlig im Griff hat, kann“ – wieder die Fanfare – „Germany´s next top model“ werden.

Sie war sprachlos. Manolete hatte von irgendwo her eine Kamera bekommen und fotografierte eifrig. Ruut saß mit krummem Rücken und gefalteten Händen da und schien ein Mantra zu beten. Baader flüsterte immer wieder vor sich hin: „Geil. Geil. Geil.“ Gudrun war blaß vor Hass. „Da hast du es“, sagte er. „Das vollendete Böse.“ Sie starrte ihn an. „Das blonde Ungeheuer.“ „Gefällt sie dir?“, fragte sie. „Sie hat schöne Beine.“ „Willst du sie ficken?“ Er legte ihr die Hand aufs Knie. „Wie jeder. Sie ist ausgepreist. Ich könnte sie nehmen. Oder lassen. Es wäre nicht das, was wir... Außer, dass es dich fühlen ließe...“ „Was?“ „Dass ich es bin.“ Sie legte ihre Hand auf die seine. Es gab jetzt keinen Rückweg mehr. „Das Böse.“ Sie schaute noch einmal zu der Blonden hinüber, bevor sie sich erhob. Sie traten aus der Halle. Sie schob ihre Hand unter seine Lederjacke, lehnte ihr Gesicht an seine Brust. Das Beben schwoll an. In der Halle hatte Gudrun die Waffe aus dem Hosenbund gezogen. Sie riss Andreas vom Sitz. „Die Drecksau.“ Sie schoss der Blonden auf dem Podest mitten zwischen die blauen Augen. Andreas verstand nichts. Wild ballerte er um sich. Manolete und Ruut schlossen sich – etwas widerwillig – an. Sirenen heulten. Eine Panik brach aus. Menschen trampelten übereinander. Dunkles Blut verschwamm fast vollständig in den schwarzen Teppichböden der Kulissen. Nur auf der weißen Leinwand hinter der Brünetten, deren Leichnam von Jauche und Mayonaisse überzogen in schöner Streckung dalag, ergaben die Spritzer ein Gemälde wie von Jackson Pollock. Sie hob den Kopf an für einen Kuss. An dem die Welt zugrunde geht. Sie sanken nieder.


SIE: „Nur wir erregen bleibenden Abscheu.“
ER:  „Immer schon.“
SIE:  „War es wahr.“
ER:  „Wenn der Geist Körper wird.“
SIE:  „Sich die Flüssigkeiten austauschen.“
ER:   „Wie im Rausch“
SIE:   „Durch Raum und Zeit.“
ER:   „Mit Schleim und Sekret.“
SIE:   „Sich vereint.“
ER:   „Ich werde dich immer lieben.“

Es muss auch ohne uns Metaphysiker gehen. Wir verabschieden uns ohne Bedauern.